"Die Krisen haben die Stärken von Markus Lanz sichtbar gemacht" – Lars Haider über das Phänomen Markus Lanz. | turi2

2022-10-01 17:00:07 By : Mr. Qida Guo

Lars und Lanz: Niemand wurde im deutschen Fernsehen so verspottet und ist dann so zurückgekommen wie Markus Lanz, findet Lars Haider. Der Chefredakteur des “Hamburger Abendblatts” beschreibt in seinem Buch “Das Phänomen Markus Lanz” den Weg von Lanz vom “Wetten, dass..?-Versenker” bis zu einem der profiliertesten Interviewer im Land. Er vergleicht den ZDF-Mann sogar mit dem österreichischen ZiB-Moderator Armin Wolf. Eine frühere Lanz-Kritikerin, die 2014 eine Petition gegen den ZDF-Moderator gestartet hatte, ist heute umgeschwenkt, berichtet Haider im Interview mit turi2-Chefredakteur Markus Trantow und lobt Lanz als “eine Ausnahme im deutschen Fernsehen”.

Lars Haider, du hast ein Buch mit stolzen 320 Seiten über den Journalisten und ZDF-Talkshow-Host Markus Lanz geschrieben. Warum?

Weil niemand im deutschen Fernsehen so verspottet worden und dann so zurückgekommen ist wie Markus Lanz. Und weil seine Sendung viel über die politische Gesprächskultur in unserem Land aussagt.

Wie hat Lanz selbst darauf reagiert, als du ihn mit deinem Plan konfrontiert hast?

Er hat im vergangenen halben Jahr zu mir keinen Satz häufiger gesagt als diesen: “Ich will dieses Buch nicht.”

Verwundert Dich diese Zurückhaltung? Schließlich steht er mehrfach pro Woche vor einem Millionen-Publikum…

Wenn man sich ansieht, was er in den vergangenen Jahrzehnten alles so einstecken musste, verwundert mich diese Zurückhaltung nicht. Zumal bei Markus Lanz teilweise schon sein Aussehen als Eitelkeit ausgelegt wurde …

Vor zehn Jahren war Lanz der meist kritisierte und verspottete Mensch im TV, der “Wetten, dass..?”-Versenker. Wie blickt er heute auf diese Zeit?

Diese Zeit hat ihn geprägt, er hatte seitdem das Gefühl, mit dem Leben noch eine Rechnung offen zu haben. Die Erlebnisse haben ihn vorsichtig und misstrauisch gemacht, gerade, wenn es um Veröffentlichungen und Bewertungen seiner Arbeit geht.

Die “FAZ” und der Medienjournalisten-Kollege Stefan Niggemeier, den ich eigentlich sehr schätze, haben damals auf Lanz ordentlich draufgehauen, kaum ein gutes Haar an dem Mann gelassen. Wie geht Lanz heute, mit Abstand, damit um? Ist er nachtragend?

Sagen wir es mal so: Er hat es auf jeden Fall nicht vergessen. Aus meiner Sicht ist es erstaunlich bis bewundernswert, dass er diese Zeit, in der Lanz medial, wie Sahra Wagenknecht es formuliert, zum Abschuss freigegeben schien, überstanden hat – als Mensch und als Moderator.

Hat er mal mit dem Gedanken gespielt, “einfach wegzufahren”, also das Handtuch zu werfen? Du zitierst mit diesen Worten im Buch eine “Post von Wagner” aus “Bild” aus dieser Zeit …

Ich glaube nicht, dass er mit diesem Gedanken gespielt hat. Und was auch stimmt: Wahrscheinlich wäre er heute nicht da, wo er ist, wenn er all die Demütigungen nicht erlebt hätte.

Und seine Kritiker und Kritikerinnen? Sind die heute geläutert?   Die Frau, die vor Jahren mit der Petition “Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag” für Schlagzeilen sorgte und mehr als 200.000 Unterstützer mobilisierte, hat ihre Bewertung des Moderators und seiner Sendung auf jeden Fall radikal geändert. Maren Müller hat mit dem von ihr gegründeten Verein “Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien” sogar überlegt, Markus Lanz einen Publikumspreis zu verleihen: “Er hat ziemlich an Qualität gewonnen, die Fragetechnik hat sich sehr verbessert. Er ist ein eloquenter Mann und eine Ausnahme im deutschen Fernsehen”, sagt sie. Müller ist heute eher mal bei Anne Will “auf 180”: Sie ärgert, dass Gäste dort Dinge äußern können, die unwidersprochen bleiben. Man könne doch von den Leuten, die eine Talkshow leiten, erwarten, dass sie im Stoff sind, findet sie.

Stein des Anstoßes war 2014 ein Interview mit Sahra Wagenknecht. Letzte Woche war sie wieder bei Lanz zu Gast, auch diesmal war der Moderator ihr schärfster Gegner. Haben wir uns an Lanz gewöhnt? Oder ist die Gesprächskultur heute eine andere?   Wenn man heute auf das damals so kritisierte Gespräch mit Sahra Wagenknecht schaut, stellt man fest, dass Markus Lanz gar nicht viel anders gefragt hat, aber zu der Zeit fanden viele halt alles doof, was er gemacht hat.

Ich will nicht sagen, dass Lanz heute Everybody’s Darling ist, aber er ist einer der profiliertesten Journalisten im deutschen Fernsehen. Waren es nur die gesellschaftlichen Krisen, die offenbar dazu beitragen, dass Lanz zur Hochform aufläuft?

Die Krisen, insbesondere Corona, haben auf jeden Fall die Stärken von Markus Lanz sichtbar gemacht: Sein echtes Interesse an existenziellen und politischen Themen gehört genauso dazu wie eine Redaktion, die eine Vorbereitungstiefe erreicht, die im deutschen Fernsehen etwas besonderes ist. Dazu kommt, dass der erst erzwungene und dann freiwillige Verzicht auf Publikum der Sendung sehr geholfen hat, weil sie dadurch noch schneller und konzentrierter geworden ist. Und weil Politikerinnen und Politiker nicht mehr mit Hilfe des Publikums Lanz‘ Fragen ausweichen können.

Du beschreibst in deinem Buch auch die Rolle von Lanz bei der Entscheidung, dass Karl Lauterbach Gesundheitsminister geworden ist. In keiner Sendung war Lauterbach öfter als bei Lanz – hat Lanz Lauterbach zum Minister “gesendet”?

Die meisten der 50 Wegbegleiter, Politiker und Experten, mit denen ich für das Buch gesprochen habe, sagen, dass Lauterbach ohne Lanz nicht Minister geworden wäre. Und Lanz wäre ohne Lauterbach heute auch nicht da, wo er ist. Der eine hat in dem jeweils anderen seine Chance erkannt und sie genutzt.

Ist Lanz bei Politik-Promis beliebt oder gefürchtet? Oder irgendwas dazwischen?

Ein Politiker hat einmal zu Markus Lanz gesagt: “Es gibt Abende, an denen hasse ich sie, und es gibt Abende, an denen liebe ich sie.” Das trifft es genauso wie dieses Zitat von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert: “Niemals werde ich so bemitleidet wie vor oder nach Auftritten bei Markus Lanz.” Auf jeden Fall sollte man als Politikerin oder Politiker nur dann zu Markus Lanz gehen, wenn man sich sicher ist, dort bestehen zu können. Sonst ist es zu riskant.

Ist Finanzminister Christian Lindner deswegen so zurückhaltend, was einen Besuch im Lanz-Studio in Hamburg angeht?

Nein, Lindner hat bei Markus Lanz andere schlechte Erfahrungen gemacht, unter anderem, als er ziemlich frontal in einer Sendung von David Hasselhoff angegangen wurde… Seit diesem Auftritt war er nicht mehr bei Markus Lanz zu Gast.

Du hast ja selbst auch Lanz-Erfahrungen, warst für dein Buch “Olaf Scholz. Der Weg zur Macht: Das Porträt” bei Lanz zu Gast – gab es beim Blick hinter die Kulissen irgendwas, das Dich überrascht hat?

Mich hat überrascht, dass er die Gäste hinterher zu sich in die Garderobe bittet und man dort sehr lang und ganz anders mit ihm ins Gespräch kommen kann. Bei meinem Garderoben-Besuch ist auch die Idee zu dem Buch entstanden.

Am Ende deines Buches machst Du Markus Lanz das vielleicht größte Kompliment, dass man einem ernsthaften Journalisten im deutschsprachigen Raum machen kann: Du zitierst Armin Wolf und beschreibst Wolf als “Österreichs Pendant zu Markus Lanz”. Damit erhebst du Lanz in den Olymp der Interviewer. Ist dieses Podest nicht ein bisschen groß?

In Wahrheit macht Markus Lanz ein als Talkshow getarntes Einzelinterview mit einem Politiker oder einer Politikerin. Und dabei reicht er, wenn es um das Nachfragen und Insistieren geht, durchaus an Armin Wolf heran. Und ich glaube, dass der gegen den Vergleich auch wenig hätte…

Du bist im Hauptberuf Chefredakteur des “Hamburger Abendblatts”, hast im Dezember das Buch über Olaf Scholz und nun knappe zehn Monate später das Lanz-Buch auf dem Markt. Gibt es jetzt öfter Bücher von Lars Haider?

Ein Buch zu schreiben, ist für mich abends oder an freien Tagen wahrscheinlich wie für andere Menschen, ein Buch zu lesen. Insofern werde ich sicher weitere Bücher schreiben, ob sie immer veröffentlicht werden, ist eine andere Frage.

Das Lanz-Buch ist ein deutlicher Abstecher in Medienjournalismus und Medienkritik. Wie war das für Dich, über die eigene Branche zu schreiben?

Ich habe das gar nicht als einen Abstecher in den Medienjournalismus empfunden. Im Kern ist auch dieses Buch für mich ein politisches, in dem es um die aktuell so wichtige Frage geht, wie wir über Politik so sprechen, dass sich alle daran beteiligen können.