Frauen im Film - DER SPIEGEL

2022-09-24 16:20:23 By : Mr. Andy Yang

Frauen im Film: Die schwarzen Witwen von Hollywood

Als Walter Neff diese Frau trifft, verfällt er ihr sofort. Die kühle Blonde mit dem taxierenden Blick ist die Verführung in Person. Eingewickelt in nichts als ein Handtuch empfängt Phyllis Dietrichson den Versicherungsvertreter zu Hause. "Is there anything I can do?", säuselt sie mit rauchiger Stimme. Einige Schnitte später trippelt Pyllis in hochhackigen, federverzierten Pantoletten aufreizend die Treppe herunter, dabei konzentriert sich die Kamera auf das zarte Fußkettchen an der schlanken Fessel, ihre schmale Silhouette umspielt ein Kleid in unschuldigem Weiß. Doch hinter der Engelsfassade verbirgt sich in Wirklichkeit ein echter Teufelsbraten: Mit Hilfe des betörten Neff will Phyllis ihren Ehemann aus dem Weg räumen.

Als eiskalte Femme Fatale in Billy Wilders Filmklassiker "Frau ohne Gewissen" elektrisierte US-Schauspielerin Barbara Stanwyck 1944 die Zuschauer - und wurde zur Ikone eines neuen weiblichen Typs, der Hollywoods Frauenbild revolutionierte: der Frau der Tat. Nur vordergründig sind Männer die Helden in Hollywoods legendärer "Schwarzer Serie", jenen Kultfilmen aus den vierziger und fünfziger Jahren, in denen wortkarge Privatdetektive mit Schlapphut, hochgeschlagenem Mantelkragen und Kippe im Mundwinkel von kargen Büros mit herabgelassenen Jalousien aus durch eine Welt zwischen Hinterzimmerspielhöllen und neonblinkenden Stadtlandschaften streifen.

In Wirklichkeit bestimmen die Frauen das Geschehen im "film noir" - Frauen wie Phyllis, die nach erfolgtem Gattenmord auch noch ihrem naiven Liebhaber ans Leben will, um das Erbe ihres Mannes alleine durchzubringen. "Ich tötete für Geld und die Gunst einer Frau", resümiert der in die Falle gegangene Neff. "Ich bekam weder das Geld noch die Frau."

Auch Hollywood-Sexbombe Rita Hayworth mutierte Ende der Vierziger von der harmlosen "Liebesgöttin von Amerika" zum verruchten Biest. Regie-Wunderkind Orson Welles, Hayworths Ehemann Nummer 5, erkor die Aktrice 1948 zum Star seines tiefschwarzen Klassikers "Die Lady von Shanghai" - und ließ dafür kurzerhand die wallende Mähne der Hayworth kappen und ihr Haar platinblond färben. Derart runderneuert schritt sie als Elsa Bannister zum Mord an Gatten und Liebhaber, ganz wie ihre Kollegin Stanwick in der Rolle der Phyllis: Die Lebensversicherung lockt.

Columbia-Pictures-Boss Harry Cohn allerdings war entsetzt. Er ließ den Streifen ein Jahr lang zurückhalten, aus Angst, der Imagewechsel werde seinen Star kaputtmachen. Bevor "Die Lady von Shanghai" schließlich in die Kinos kam, mussten auf Geheiß von Cohn "glamour shots" von Hayworth in den Film montiert werden. Es nützte nicht viel. Niemand wollte eine männermordende Rita Hayworth sehen; der Film floppte. Erst viel später wurde das Werk zum Klassiker der Schwarzen Serie.

Zeitgenossen unterstellten Regisseur Welles, er habe die Hayworth aus Rache absichtlich demontiert. Während des Drehs nämlich war die Ehe der beiden schon beendet. Eine "Akt der Hinrichtung" nennt der deutsche Filmkritiker Adolf Heinzlmeier die Regie. Mehr noch: Welles habe "in Gestalt der Rita Hayworth den Mythos der amerikanischen Frau" dämonisiert, so der Buchautor. Was immer den Filmemacher antrieb - letztlich verhalf er Hayworth gerade durch den Imagewandel hin zum Vamp zu einem festen Platz als ernstzunehmende Schauspielerin in der amerikanischen Filmgeschichte. Das American Film Institute wählte sie in die Top 20 der weiblichen ewigen Kinostars.

Die Frauen im "film noir" wissen was sie wollen und wie es zu bekommen ist - voran durch den Einsatz weiblicher Reize. Nahtstrümpfe, High heels und äußerst figurbetonte Kleider sind ihre wichtigsten Accessoires. Manipulativ schürzen die Protagonistinnen ihre blutroten Lippen und wickeln die triebgesteuerten Kerle um den Finger. Berechnend sind sie, die Schönen, gierig und böse. Dem alten Rollenmodell der braven, verheirateten Ehefrau und Mutter widersetzen sie sich auf ihre Weise: indem sie Männer zu kriminellen Handlungen verführen, ihren eigenen Vorteil dabei stets im Blick.

Von einem Lippestift wird in "Im Netz der Leidenschaften" von 1946 der Auftritt von Pin-Up-Legende Lana Turner angekündigt. Durch das Bild rollt das symbolträchtige Accessoire dem Herumtreiber Frank direkt vor die Füße. Dann erscheint Turner alias Cora Smith - zuerst scheinbar endlose Beine, schließlich der wohlgeformte Körper, gekleidet in einen knappen weißen Bikini, die Haarpracht auf dem Kopf in ein Handtuch gewickelt. Die Botschaft des Auftritts ist unzweideutig: Vorsicht, ich bin keine brave Ehefrau.

Die kurvige Blonde beginnt mit Frank eine leidenschaftliche Affäre - und schockiert das Kinopublikum mit einem echten Zungenkuss auf der Leinwand. Doch Claire ist noch mitnichten zur Sache gekommen, wie ihr Gespiele denken mag. Auch sie will mit Franks Hilfe den eigenen Gatten meucheln; ihr Mann stirbt bei einem fingierten Autounfall. Aber die Mörderin folgt ihm auf gleiche Weise nach und ihr Geliebter wird verurteilt - wegen Ermordung der schönen Claire.

Turners Überzeugungskraft in der Rolle als tödliche Verführerin machte den Streifen zu einem beachtlichen Kassenerfolg - für einen "film noir" durchaus nicht die Norm. Das Studio MGM dagegen war nicht nur erfreut über den Erfolg seines Stars. Um die Turner nicht allzu einseitig auf das durchtriebene Biest festzulegen, wurde die Presse mit Fotostorys überflutet. Da gibt die Diva die liebevolle Mutter, die hingebungsvoll mit ihrer zweijährigen Tochter Cheryl spielt.

"Sweater Girl": US-Schauspielerin Lana Turner trat gerne in etwas zu engen Pullovern auf, die ihre beachtliche Oberweite vorteilhaft ins Bild rückten. "Sweater Girl" lautete denn auch ihr Spitzname". In dem Streifen "Im Netz der Leidenschaften" (1946) kommen allerdings auch ihre Beine gut zur Geltung. Am Ende des Films jedoch ist die Platinblondine tot.

Blonde Mähne: Veronica Lake durfte sich in vielen Filmen der Schwarzen Serie als Femme fatale versuchen. Ihre schauspielerischen Fähigkeiten waren lange allerdings nicht so glänzend wie ihr goldenes Haupthaar. In "Die blaue Dahlie" (1946) warf sie als Joyce Harwood die Lockenpracht über die Schulter, ihr ewiger Filmpartner Alan Ladd war wie immer hingerissen.

Satansbraten: Jan Sterling spielte in Billy Wilders "Reporter des Satans" ("Ace in the Hole") die Rolle ihrer Karriere. Als hemdsärmelige Ehefrau Lorraine Minosa profitiert sie vom Medienhype um ihren verunglückten Ehemann. Kräfte messen musste die aufgebrezelte Blondine dagegen mit dem Reporter Chuck (Kirk Douglas). Am Ende muss er sterben - während Sterling ihren Koffer auf Stöckelschuhen durch die Wüste schleppt, neuen Abenteuern entgegen. Die Aufnahme zeigt Sterling in "Sky Full of Moon" (1952).

Fesselnder Film: In "Tote schlafen fest", der legendären Verfilmung des Raymond-Chandler-Krimis "The Big Sleep" von 1946, dauert es, bis Privatdetektiv Philip Marlowe (Humphrey Bogart) endlich hinter das dunkle Geheimnis der schönen Vivian Rutledge, der Tochter seines Auftragebers, kommt. Erst muss ihn die kühle Blondine aus der Hand skrupelloser Gangster befreien.

Blondes Gift: Rita Hayworth mit hellen Haaren und dunklem Geheimnis. In dem Film-noir-Thriller "Die Lady von Shanghai" (1947) von Orson Welles geht sie über Leichen - und endet selbst im Leichenschauhaus.

Femme fatale at her best: Ausgefuchstestes Exemplar ihrer Gattung ist Phillys Dietrichson in "Frau ohne Gewissen" (1944). Der Performance von Barbara Stanwyck als betörendes Luder kann Fred McMurray nicht widerstehen - Pech für ihn. Am Ende erschießt er Stanwyck und resümiert resigniert: "Ich tötete für Geld und die Gunst einer Frau. Ich bekam weder das Geld ... noch die Frau."

Joan Bennett: Schon in den dreißiger Jahren war Joan Bennett ein gefeierter Star, der 1939 in der engsten Auswahl für die Rolle der Scarlett O'Hara in "Vom Winde verweht" war. In "Gefährliche Begegnung" von 1944 ersticht ein Verehrer aus Versehen ihren Liebhaber mit einer Schere, doch am Ende stellt sich alles als Traum heraus - anders als das Drama, bei dem Bennets Ehemann 1952 den Liebhaber ihrer Frau vor der Haustür erschoss. Diese tödliche Begegnung hatte dauerhaft abträgliche Folgen für Bennetts Hollywood-Karriere.

Die junge Marilyn: Eine der ersten Rollen Marilyn Monroes war das Gangsterliebchen in "Asphalt Dschungel" (1950) von Regisseur John Houston. Sie selbst befand, es sei ihre beste gewesen.

Peek-a-boo-Girl: Benannt nach ihrer Frisur - lange blonde Mähne wellt sich überm Auge - musste Veronica Lake sich täglich den Schopf mit speziellem Glanzöl fetten und durfte weder rauchen, noch andere Dinge tun, die ihrer Haarpracht schadeten. In "Die Narbenhand" (1942) raubt sie Alan Ladd den Verstand.

Bogart und Bacall: In "Gangster in Key Largo" (1948) betört Lauren Bacall als schöne, junge Witwe ihren Filmpartner Humphrey Bogart in der Rolle des Ex-Offiziers Frank McCloud. Am Ende tötet der einen nach dem anderen die Gangster, die Noras kleine Insel unsicher gemacht haben.

Eine der Schönsten Hollywoods: So lautete der Titel, mit dem sich US-Schauspielerin Gene Tierney in den vierziger Jahren schmücken durfte. Das war auch ihre große Glanzzeit, deren Höhepunkt der Film noir "Laura" (1944) darstellte. In den fünfziger Jahren verschwand die Mimin dann zunehemend in der Versenkung.

Schlaue graue Maus: Auf den ersten Blick erscheint Bridget O'Shaughnessy (Mary Astor) in "Die Spur des Falken" (1941) etwas farblos, doch sie hat es faustdick hinter den Ohren. Über einen Großteil der 101 Minuten narrt sie Humphrey Bogart bezüglich ihrer wahren Absichten.

Baiser-Frisur: Trotz der auffälligen Haartracht von Oscar-Preisträgerin Claire Trevor scheint Schauspielerkollege Dick Powell als Privatdetektiv Philipp Marlowe nur Augen für die Augen seiner Partnerin zu haben. Die ist in "Leb wohl, Liebling" (1944) Drahtzieherin eines durchtriebenen Komplotts, für das sie Marlowe geschickt einzuspannen weiß. "Murder, My Sweet" (so der Originaltitel) war einer der ersten Streifen, die durchgängig im Stil der bald "Schwarze Serie" genannten Filme gedeht war.

Swanson-Comeback: Gloria Swanson zieht in der Rolle des alternden Stummfilmstars Norma Desmond alle Register, um den Jungspund Joe Gillis (Wiliam Holden) zu halten - selbst vor zweifelhaftem Leopardenmuster schreckt sie nicht zurück. Als alles nichts hilft, jagt sie ihm am Ende eine Kugel in die Brust. Die Rolle in Billy Wilders "Boulevard der Dämmerung" (1950) verhalf Swanson, selbst ein ehemaliger Stummfilmstar, zu einer Rückkehr auf die Leinwand.

Gangsterbraut: "Ich bin reich gewesen und ich bin arm gewesen", ließ Gloria Grahame als Mafia-Braut Debby Marsh in "The Big Heat" (deutscher Titel: "Heißes Eisen") die Zuschauer wissen. "Glaubt mir, reich ist besser." Also versucht Debby alles, um ihre Einnahmen zu erhöhen - und bezahlt dafür schließlich mit ihrem Leben.

Verruchte Marlene: Selbst in einer Nebenrolle spielte Marlene Dietrich in Orson Welles' Thriller "Im Zeichen des Bösen" alle Kollegen an die Wand. Ob ihre zigarrenrauchende Mexikanerin Tanya nur Hellseherin oder auch Puffmutter ist, bleibt für den Zuschauer offen.

Rita oder Gilda: Bevor Ehemann und Regisseur Orson Welles sie 1948 in "Die Lady von Shanghai" zur blonden Venus umstilisierte, hatte Rita Hayworth als rothaarige Verführerin Gilda im gleichnamigen Film von 1946 reüssiert. Die Schauspielerin sah die Rolle eher als Fluch. "Die Männer verliebten sich in Gilda", sagte sie einmal, "aber wachten neben mir auf."

Bad Girl Rita: "Johnny (sagt Gilda) - such a hard name to remember, and so easy to forget".

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